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wiederkäuendes Tier nannte.
Noch verhaßter war Madame Melina dem lustigen Mädchen. Diese junge Frau war nicht ohne
Bildung, doch fehlte es ihr gänzlich an Geist und Seele. Sie deklamierte nicht übel und wollte immer
deklamieren; allein man merkte bald, daß es nur eine Wortdeklamation war, die auf einzelnen
Stellen lastete und die Empfindung des Ganzen nicht ausdruckte. Bei diesem allen war sie nicht
leicht jemanden, besonders Männern, unangenehm. Vielmehr schrieben ihr diejenigen, die mit ihr
umgingen, gewöhnlich einen schönen Verstand zu: denn sie war, was ich mit einem Worte eine
Anempfinderin nennen möchte; sie wußte einem Freunde, um dessen Achtung ihr zu tun war, mit
einer besondern Aufmerksamkeit zu schmeicheln, in seine Ideen so lange als möglich einzugehen,
sobald sie aber ganz über ihren Horizont waren, mit Ekstase eine solche neue Erscheinung
aufzunehmen. Sie verstand zu sprechen und zu schweigen und, ob sie gleich kein tückisches Gemüt
hatte, mit großer Vorsicht aufzupassen, wo des andern schwache Seite sein möchte.
Sechstes Kapitel
Melina hatte sich indessen nach den Trümmern der vorigen Direktion genau erkundigt. Sowohl
Dekorationen als Garderobe waren an einige Handelsleute versetzt, und ein Notarius hatte den
Auftrag von der Direktrice erhalten, unter gewissen Bedingungen, wenn sich Liebhaber fänden, in
den Verkauf aus freier Hand zu willigen. Melina wollte die Sachen besehen und zog Wilhelmen mit
sich. Dieser empfand, als man ihnen die Zimmer eröffnete, eine gewisse Neigung dazu, die er sich
jedoch selbst nicht gestand. In so einem schlechten Zustande auch die geklecksten Dekorationen
waren, so wenig scheinbar auch türkische und heidnische Kleider, alte Karikaturröcke für Männer und
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Frauen, Kutten für Zauberer, Juden und Pfaffen sein mochten, so konnt er sich doch der
Empfindung nicht erwehren, daß er die glücklichsten Augenblicke seines Lebens in der Nähe eines
ähnlichen Trödelkrams gefunden hatte. Hätte Melina in sein Herz sehen können, so würde er ihm eifriger
zugesetzt haben, eine Summe Geldes auf die Befreiung, Aufstellung und neue Belebung dieser
zerstreuten Glieder zu einem schönen Ganzen herzugeben. »Welch ein glücklicher Mensch«, rief
Melina aus, »könnte ich sein, wenn ich nur zweihundert Taler besäße, um zum Anfange den Besitz
dieser ersten theatralischen Bedürfnisse zu erlangen. Wie bald wollt ich ein kleines Schauspiel
beisammen haben, das uns in dieser Stadt, in dieser Gegend gewiß sogleich ernähren sollte.«
Wilhelm schwieg, und beide verließen nachdenklich die wieder eingesperrten Schätze.
Melina hatte von dieser Zeit an keinen andern Diskurs als Projekte und Vorschläge, wie man ein
Theater einrichten und dabei seinen Vorteil finden könnte. Er suchte Philinen und Laertes zu
interessieren, und man tat Wilhelmen Vorschläge, Geld herzuschießen und Sicherheit dagegen
anzunehmen. Diesem fiel aber erst bei dieser Gelegenheit recht auf, daß er hier so lange nicht hätte
verweilen sollen; er entschuldigte sich und wollte Anstalten machen, seine Reise fortzusetzen.
Indessen war ihm Mignons Gestalt und Wesen immer reizender geworden. In alle seinem Tun
und Lassen hatte das Kind etwas Sonderbares. Es ging die Treppe weder auf noch ab, sondern
sprang; es stieg auf den Geländern der Gänge weg, und eh man sich's versah, saß es oben auf dem
Schranke und blieb eine Weile ruhig. Auch hatte Wilhelm bemerkt, daß es für jeden eine besondere
Art von Gruß hatte. Ihn grüßte sie seit einiger Zeit mit über die Brust geschlagenen Armen. Manche
Tage war sie ganz stumm, zuzeiten antwortete sie mehr auf verschiedene Fragen, immer
sonderbar, doch so, daß man nicht unterscheiden konnte, ob es Witz oder Unkenntnis der Sprache
war, indem sie ein gebrochnes, mit Französisch und Italienisch durchflochtenes Deutsch sprach. In
seinem Dienste war das Kind unermüdet und früh mit der Sonne auf; es verlor sich dagegen abends
zeitig, schlief in einer Kammer auf der nackten Erde und war durch nichts zu bewegen, ein Bette
oder einen Strohsack anzunehmen. Er fand sie oft, daß sie sich wusch. Auch ihre Kleider waren
reinlich, obgleich alles fast doppelt und dreifach an ihr geflickt war. Man sagte Wilhelmen auch, daß
sie alle Morgen ganz früh in die Messe gehe, wohin er ihr einmal folgte und sie in der Ecke der
Kirche mit dem Rosenkranze knien und andächtig beten sah. Sie bemerkte ihn nicht, er ging nach
Hause, machte sich vielerlei Gedanken über diese Gestalt und konnte sich bei ihr nichts
Bestimmtes denken.
Neues Andringen Melinas um eine Summe Geldes zur Auslösung der mehr erwähnten
Theatergerätschaften bestimmte Wilhelmen noch mehr, an seine Abreise zu denken. Er wollte den
Seinigen, die lange nichts von ihm gehört hatten, noch mit dem heutigen Posttage schreiben; er fing
auch wirklich einen Brief an Wernern an und war mit Erzählung seiner Abenteuer, wobei er, ohne
es selbst zu bemerken, sich mehrmal von der Wahrheit entfernt hatte, schon ziemlich weit
gekommen, als er zu seinem Verdruß auf der hintern Seite des Briefblatts schon einige Verse
geschrieben fand, die er für Madame Melina aus seiner Schreibtafel zu kopieren angefangen hatte.
Unwillig zerriß er das Blatt und verschob die Wiederholung seines Bekenntnisses auf den nächsten
Posttag.
Siebentes Kapitel
Unsre Gesellschaft befand sich abermals beisammen, und Philine, die auf jedes Pferd, das
vorbeikam, auf jeden Wagen, der anfuhr, äußerst aufmerksam war, rief mit großer Lebhaftigkeit:
»Unser Pedant! Da kommt unser allerliebster Pedant! Wen mag er bei sich haben?« Sie rief und
winkte zum Fenster hinaus, und der Wagen hielt stille.
Ein kümmerlich armer Teufel, den man an seinem verschabten, graulich-braunen Rocke und an
seinen übelkonditionierten Unterkleidern für einen Magister, wie sie auf Akademien zu vermodern
pflegen, hätte halten sollen, stieg aus dem Wagen und entblößte, indem er, Philinen zu grüßen, den Hut [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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