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Dann blickte es Juliana geradezu entschuldigend an.
Phoebe schlug das Herz bis zum Hals. Sie hatte noch nie so viel
Angst gehabt wie eben gerade, als sie den blutrünstigen Ausdruck in
den Augen der angreifenden Großkatze gesehen hatte. Sie konnte
nicht glauben, dass Juliana den Mut aufgebracht hatte, sich dem Tier
in den Weg zu stellen.
»Drew, komm zurück!«, sagte Juliana und kraulte dem Löwen den
Kopf. »Beruhige dich und komm zu uns zurück.«
Der Löwe senkte den Kopf, und an den Ohren wurde das Fell
dunkler. Rasch kehrte Drews dunkelbraunes Haar zurück. Die Haut
wurde wieder normal, aus den Vorderläufen wurden Arme, und der
Schwanz verschwand. Als der Gestaltwechsel vollzogen war, blieb
sie vor Juliana auf dem Boden hocken. Niemand sagte etwas. Alle
standen unter Schock.
»Zumindest hast du keine blauen Haare mehr«, scherzte Phoebe,
um das Eis zu brechen.
Drew nahm eine Strähne zwischen die Finger und betrachtete sie
prüfend. Dann stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie begann
zu schluchzen. »Was ist denn los mit mir?«, rief sie. »Ich wollte das
nicht tun! Ich war wütend, aber ich wollte niemandem wehtun! Das
habe ich nicht mit Absicht gemacht!«
»Ich weiß«, sagte Juliana und half dem weinenden Mädchen auf
die Beine. »Ich glaube dir.«
Paige kam rasch dazu, um sich mit Drew auf die Couch zu setzen.
»Ich glaube dir auch«, sagte sie. »Tut mir Leid, dass ich gesagt habe,
du seist böse.«
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Phoebe hörte ein Schniefen und drehte sich zu Lily um, die auch
angefangen hatte zu weinen. »Ähm... Juliana?«, meinte sie leise.
Juliana ging sofort zu ihrer Tochter und umarmte sie. »Mein Schatz,
es tut mir so Leid! Du hast dich bestimmt schrecklich gefürchtet!«
Lily nickte.
»Es tut mir Leid, Lil«, wandte sich Drew ebenfalls an sie.
»Das glaube ich dir nicht!«, erwiderte Lily unter Tränen. »Du
wolltest meine Mutter nicht verletzen, aber mich hättest du
angegriffen. Dir liegt mehr an ihr als an mir!«
»Ich war so wütend auf dich...« Drew verstummte, als Lily aufs
Neue zu schluchzen begann.
Phoebe setzte sich neben sie, während Juliana Lily tröstete. »Drew,
weißt du noch, was passiert ist, bevor du deine Gestalt verändert
hast?«, fragte sie. »Hast du dir vielleicht gewünscht, ein Löwe zu
sein?«
»Nein«, entgegnete Drew leise. »Ich wollte nur stark genug sein,
um mich gegen Lily zur Wehr setzen zu können. Sie hat gemeine
Sachen gesagt, und ich wollte mich verteidigen. Ich wollte doch kein
Löwe werden und sie töten!«
Phoebe und Paige sahen sich über Drews Kopf hinweg an. »Du
warst ziemlich aufgebracht, aber das ist ja nichts Böses«, bemerkte
Phoebe.
»Als Drew zum ersten Mal ihre Gestalt verändert hat, wollte sie
unbemerkt von zu Hause abhauen«, warf Piper in die Runde.
»Offenbar reagieren die magischen Kräfte auf ihre Gefühle. Sie muss
sich gar nicht wünschen, dieses oder jenes Tier zu werden. Ihr
Körper weiß einfach, welches ihren Bedürfnissen am besten
entspricht.«
»Ich weiß nicht, wie ich das kontrollieren soll«, sagte Drew. »Lily
hat die Hexenausbildung ihr müsste das eigentlich passieren. Du
wüsstest damit umzugehen, Lil!«
Lily hatte aufgehört zu weinen. Sie wirkte sehr verängstigt.
»Nein«, meinte sie. »Ich will diese Kräfte gar nicht haben. Das ist
mir zu viel!« Sie sah zu ihrer Mutter auf. »Wenn das meine Gabe ist,
dann will ich sie nicht haben!«
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»Aber Drew hat Recht, Lily«, sagte Phoebe, »Du hast dich dein
Leben lang darauf vorbereitet, eine Hexe zu werden. Du hättest den
Gestaltwechsel bestimmt viel besser im Griff als Drew.«
»Das ist mir egal«, gab Lily zurück. »Ich will das nicht! Das ist mir
unheimlich.«
Phoebe war ratlos. Wenn Lilys Kräfte tatsächlich bei Drew
gelandet waren, dann mussten sie wieder zu ihr zurück. Aber wie?
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»BIST DU SICHER, DASS ES FUNKTIONIERT?«, fragte Juliana nervös.
Piper sah sich die Vorbereitungen an, die sie auf dem Speicher
getroffen hatten: Zwei voneinander getrennte Schutzkreise waren mit
weißen Seidenkordeln auf dem Boden ausgelegt. Dazwischen hatten
sie Platz gemacht, und Leo fegte den Holzboden mit einem Besen
aus Salbeizweigen. Piper atmete tief durch. »Nein, ich bin nicht
sicher.«
Juliana sah sie bestürzt an. Piper wollte sie zwar nicht
beunruhigen, aber sie musste ihr die Wahrheit sagen. Im Buch der
Schatten stand, die Zauberformel zur Übertragung magischer Kräfte
könne nur wirken, wenn die beteiligten Hexen einander ebenbürtig
waren und sich beide mit der Kräfteübertragung einverstanden
erklärten. Aber Drew und Lily waren einander keineswegs
ebenbürtig, und im Augenblick wollte Lily die Kräfte gar nicht
haben. Die Chancen standen also nicht besonders gut.
»Das Buch der Schatten macht uns bestimmte Informationen genau
dann zugänglich, wenn wir sie brauchen«, erklärte Piper. »Und als
ich auf den Dachboden gekommen bin, lag es aufgeschlagen da. Das
bedeutet, dass wir mit dieser Formel bei der Rückübertragung von
Lilys Kräften die größten Aussichten auf Erfolg haben.«
»Die größten Aussichten auf Erfolg?«, fragte Juliana skeptisch.
»Das heißt nicht unbedingt, dass sie wirklich hundertprozentig
sind«, bemerkte Leo.
»Wir müssen unser Bestmögliches tun, um die richtigen
Bedingungen für den Zauber zu schaffen«, erklärte Piper. »Aber
leider können wir Drew und Lily nicht zu einander ebenbürtigen
Hexen machen...«
»Was soll das Ganze dann?«, fiel Juliana ihr ins Wort.
Piper beschloss, Ruhe zu bewahren. Julianas Ton war scharf, aber
im Grunde machte sie sich ja nur Sorgen. Sie hatte immer alles allein
regeln müssen und war noch nicht daran gewöhnt, den Zauberhaften
und Leo zu vertrauen.
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»Ich hoffe, dass die beiden im Augenblick als einander ebenbürtig
durchgehen. Lily ist von ihrem Erbe her die eigentliche Hexe und hat
von Natur aus die Fähigkeit, mit Magie umgehen zu können, und
Drew hat momentan die magischen Kräfte«, erklärte Piper.
»Klingt plausibel«, sagte Leo und gab Piper den Salbeibesen
zurück. »Jetzt ist jedenfalls alles vorbereitet. Die Vermittlerin kann
kommen.«
Piper betrachtete den sauber gefegten Boden in der Mitte des
Speichers. Lily und Drew mussten sich in den beiden Schutzkreisen
aufstellen, und wenn der Zauber ordnungsgemäß funktionierte,
würde eine Vermittlerin aus Lilys Familie eine O Farrell-Hexe
zwischen ihnen erscheinen, die entschied, ob die magischen Kräfte
tatsächlich von Drew an Lily übertragen werden sollten.
»Bevor wir anfangen, müssen wir noch die Schüssel mit Wasser
zwischen die Schutzkreise stellen«, sagte Piper. »Ansonsten ist alles
da.«
»Zuerst will ich aber noch mal beim Hohen Rat nachhören«,
bremste Leo sie. »Vielleicht gibt es ja doch eine einfachere
Möglichkeit, Lily ihre Kräfte zurückzugeben.«
»Der wird uns nicht helfen«, entgegnete Juliana mutlos.
»Dir hilft er nicht«, entgegnete Leo, »weil du dich von ihm
abgewendet hast. Aber vielleicht überlegst du es dir ja doch noch
mal?«
Juliana sah ihn lange an. »Nein«, sagte sie schließlich. »Der Hohe
Rat hätte Gortags blutigem Treiben schon vor hundert Jahren Einhalt
gebieten müssen.«
»Tut mir Leid, dass der Hohe Rat nicht helfen konnte«, sagte Leo.
»Er ist leider nicht allmächtig. Aber vielleicht erklärt er sich bereit,
Lily zu helfen, wenn er dir schon nicht helfen kann.«
»Gute Idee«, meinte Piper. »Ich glaube, wir brauchen sowieso
noch ein Weilchen, um uns mental auf die Aktion einzustellen. Frag
ruhig mal nach!«
Leo nickte und orbte davon.
»Was meinst du damit?«, wandte sich Juliana beunruhigt an Piper.
»Wieso sind wir mental noch nicht bereit?«
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»Die zweite Voraussetzung für den Übertragungszauber ist, dass
beide Hexen aus freien Stücken mitmachen«, erklärte sie. »Und bei
Lily bin ich mir nicht so sicher.«
Juliana seufzte und setzte sich auf die gepolsterte Truhe, in der
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